In einer dynamischen, immer komplexer werdenden Welt mit wachsenden technologischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen verändert sich auch die Erwartungshaltung daran, welche Rolle Unternehmertum innerhalb der Gesellschaft einnehmen sollte. Die öffentliche Diskussion darüber stärker mitzugestalten und den Wert von Unternehmertum aufzuzeigen, hat sich die Vollversammlung unter Vorsitz von IHK-Präsident Matthias Martiné zum Ziel gesetzt.
Dazu wurde Ende 2019 der Lenkungskreis „Unternehmen Verantwortung“ eingerichtet, der zunächst definieren sollte, welches Selbstverständnis und welche Funktion Unternehmertum aus Sicht der regionalen Wirtschaft hat. Unter Vorsitz von IHK-Vizepräsident Christian Jöst entstand hieraus als erstes Projekt eines umfangreichen Maßnahmenkataloges ein neues Leitbild, das zehn Grundsätze für verantwortungsvolle Teilhabe am Wirtschaftsleben umfasst und das allen, die in oder für Unternehmen Entscheidungen treffen, als Orientierung dienen soll.
Das „Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute“ ist 2020 einstimmig von der Vollversammlung verabschiedet worden – ein wichtiges Signal, das unterstreicht: Die Unternehmerschaft in Südhessen setzt sich sehr aktiv mit der Weiterentwicklung von gesellschaftlichen Wertvorstellungen und den Auswirkungen des wirtschaftlichen Handels auf das soziale Umfeld und die Umwelt auseinander.
Bis heute haben die Industrie- und Handelskammern den Auftrag, sich für die Wahrung von Anstand und Sitte im Wirtschaftsleben einzusetzen. Braucht es ein neues Leitbild, dessen Wertekanon die historisch gewachsenen Grundsätze des „Ehrbaren Kaufmanns“ in den Kontext aktueller Herausforderungen stellt? Mit dieser Frage hat sich der Lenkungskreis „Unternehmen Verantwortung“ der IHK auseinandergesetzt und kam zu dem Schluss: Die Grundsätze des Ehrbaren Kaufmanns sind nach wie vor gültig, sie müssen jedoch in die heutige Zeit übersetzt und um zentrale Aspekte ergänzt werden. Daraus entstand im Jahr 2020 das „Leitbild für verantwortungsbewusste, vertrauenswürdige Geschäftsleute“, das einstimmig von der IHK-Vollversammlung verabschiedet wurde.
„Der Begriff des Ehrbaren Kaufmanns mag verstaubt wirken, die Ideen dahinter sind es nicht“, sagt Christian Jöst, Vizepräsident der IHK Darmstadt und Vorsitzender des Lenkungskreises „Unternehmen Verantwortung“. „Menschliches Zusammenwirken jeglicher Art baut auf Vertrauen in gemeinsame Werte und Gepflogenheiten auf. Ohne ein solches Grundvertrauen entsteht auch kein Geschäft. Es ist also kaufmännisch klug, in dieses Sozialkapital zu investieren.“
Wer sich an den üblichen Regeln des menschlichen Miteinanders orientiere, baue sich einen Ruf als vertrauenswürdige Geschäftsfrau oder vertrauenswürdiger Geschäftsmann auf. Allein Gesetze einzuhalten, reiche nicht aus, meint Jöst, denn: Nicht alles, was rechtlich korrekt sei, sei auch redlich. In zehn Leitwerten soll das Leitbild Orientierung geben, was redliches Verhalten im Wirtschaftsleben ausmacht. Darunter finden sich klassische Grundsätze des Ehrbaren Kaufmanns, wie etwa zu seinem Wort auch zu stehen. Aber auch neue Leitwerte wurden hinzugefügt. „Besonders wichtig war es uns, klarzumachen: Gute Geschäftsleute lassen sich vom langfristigen und nachhaltigen Erfolg ihres Unternehmens leiten. Und der ist nur möglich, wenn sie den Auswirkungen ihres wirtschaftlichen Handelns auf ihr soziales Umfeld, die Umwelt und das Klima Rechnung tragen“, erklärt Jöst.
Das Leitbild der IHK Darmstadt nimmt damit direkten Bezug auf den Klimawandel, der Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen vor Herausforderungen stellt. Darüber hinaus unterstreicht das Leitbild die besondere Verantwortung für die eigene Region. „Geschäftsleute sind auch Bürgerinnen und Bürger, leben mit ihren Familien hier und wünschen sich für sich selbst und ihre Kinder eine lebenswerte Zukunft“, so Jöst. Die Unternehmen in Südhessen setzen sich mit viel persönlichem Engagement für einen starken Wirtschaftsstandort und lebenswerte Städte und Gemeinden ein. Sie unterstützen Sportvereine, fördern Kulturprojekte, sind ehrenamtlich im Gemeinderat tätig und vieles mehr. „Verantwortung für die Region gehört zu unserem Selbstverständnis und wir engagieren uns weit über gesetzliche Vorgaben und unser eigentliches Geschäft hinaus.“
Dass sich Unternehmerinnen und Unternehmer zudem als starke Solidargemeinschaft verstehen, habe die Coronakrise gezeigt. „In Krisenzeiten wird das eigene Wertegerüst auf eine harte Probe gestellt. Doch verantwortungsbewusste Geschäftsleute orientieren sich auch in schwierigen Zeiten an ihrem Wertekompass“, sagt Jöst. „Sie bilden eine Solidargemeinschaft, die sich durch gegenseitige Unterstützung auszeichnet. Viele Unternehmen sind in der Coronakrise ihren Geschäftspartnern beispielsweise bei Liefer- oder Zahlungsfristen entgegengekommen, wenn sie konnten. Viele haben Instrumente wie Kurzarbeitergeld genutzt, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Das alles zeigt: Solidarität ist wichtig, um ein Wirtschaftssystem krisenresistent zu halten.“
Das Leitbild wurde von Unternehmerinnen und Unternehmern entwickelt, richtet sich jedoch an alle, die in oder für Unternehmen Entscheidungen treffen. „Als Unternehmer kann ich die Rahmenbedingungen für verantwortungsbewusstes Handeln setzen und mein Vorbild hat wesentlichen Einfluss auf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Letztlich ist jedoch jeder selbst für sein Handeln verantwortlich – von der Führungskraft bis zum Azubi“, erklärt Jöst.
Um auch angehende Fach- und Führungskräfte aus der Region mit dem Thema verantwortungsvolle Teilhabe am Wirtschaftsleben vertraut zu machen, will die IHK Darmstadt ihren Prüfungsabsolventinnen und -absolventen das Leitbild zusammen mit dem Abschlusszeugnis aushändigen. Zusätzlich wird bei den Absolventenfeiern der IHK-Aus- und Weiterbildungsprüfungen, die zweimal im Jahr stattfinden, auf die Leitwerte hingewiesen. Darüber hinaus wird aktuell geprüft, an welchen Stellen die Leitwerte in die Lehrinhalte der Berufsbildung einfließen können. Ebenso will die IHK auf Hochschuleinrichtungen in Darmstadt zugehen, um auch hier die Fach- und Führungskräfte sowie die Unternehmerinnen und Unternehmer von morgen zu erreichen. Das Leitbild hängt darüber hinaus als große Tafel im Eingangsbereich des IHK-Gebäudes und wird über verschiedene weitere Maßnahmen an Unternehmen herangetragen.
Der Lenkungskreis „Unternehmen Verantwortung“ wurde eingerichtet, um die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft aus Sicht der südhessischen Wirtschaft zu definieren. Zu seinen 23 Mitgliedern gehören neben Unternehmerinnen und Unternehmern unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrößen auch Vertreter der Hochschule Darmstadt und der Schader Stiftung.
„Zentrale Themen wie der Klimawandel stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Erwartungen, die unter anderem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Politik und die allgemeine Öffentlichkeit dabei an Unternehmen stellen, sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen“, erklärt Matthias Martiné, Präsident der IHK Darmstadt. Dabei seien diese Erwartungen nicht immer frei von Widersprüchen. Ein Beispiel hierfür sei das Thema Windenergie: „Das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung, bis 2030 den CO2-Ausstoß zu halbieren, setzt einen intensiven Ausbau von erneuerbaren Energien voraus. Das scheint gesellschaftlicher Konsens zu sein. Wenn es aber konkret wird, formieren sich Bürgerbewegungen beispielsweise auch im Odenwald, um gegen den Ausbau von Windkraftanlagen zu protestieren“, so der IHK-Präsident. „Wir müssen deutlich machen, dass die Wirtschaft Treiber für Wohlstand und Lebensqualität ist.” Nur mit der innovativen Kraft der Unternehmen – und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und nicht gegen sie könnten die Herausforderungen unserer Zeit gemeistert werden.
Der Lenkungskreis prüft auch, welche Auswirkungen immer neue soziale und ökologische Zielvorgaben und damit verbundene gesetzliche Regelungen auf den Alltag von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) haben. Erfüllen sie ihren Zweck? Steht der bürokratische Aufwand, den solche Regelungen meist für KMU bedeuten, im Verhältnis zum Nutzen?
Darüber hinaus erarbeitet der Lenkungskreis, welchen politischen Ordnungsrahmen es braucht, damit Unternehmen ihre Funktion in der Gesellschaft bestmöglich wahrnehmen können. Mit den Erkenntnissen und Forderungen, die aus der Arbeit des Lenkungskreises entstehen, will die IHK Darmstadt anschließend in den Dialog mit Politik und Öffentlichkeit treten.
Das neue Leitbild kann online unter www.darmstadt.ihk.de/leitbild als PDF heruntergeladen werden. Weil viele Unternehmen in Südhessen im Ausland aktiv sind, steht das Leitbild sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache zur Verfügung.
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